Warum ich in meinem Restaurant auf eine Vier-Tage-Woche umstieg

von
Marius Ries
Sep 18, 2023

Vor fast zwei Jahren entschied sich Gastronom Marius Ries, in seinem Restaurant Canova die Vier-Tage-Woche einzuführen. Ein Erfahrungsbericht.


15 Monate Vier-Tage-Woche. Wir haben viel Aufmerksamkeit und Lob dafür erhalten. Doch was bedeutet eine Vier-Tage-Woche im Moment hier im Canova überhaupt? Grundsätzlich arbeiten festangestellte Teammitglieder in Vollzeit für ein höheres Gehalt als zuvor. Anstatt an 5 Tagen beträgt ihre wöchentliche Arbeitszeit nun nur noch 36 Stunden statt zuvor 40 Stunden. Für Auszubildende gilt weiterhin die fünf-Tage-Woche.

Warum handhaben wir das so? Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen.

7 Gründe für den Wechsel


1. Im April 2022hatten wir nahezu keine Teammitglieder, und wir haben uns von attraktiven Arbeitsbedingungen eine gute Resonanz bei möglichen neuen Teammitgliedern versprochen.

2. Schon in den letzten Jahren war dies immer wieder ein verlockender Gedanke, da wir der Meinung sind, der enormen Belastung in der Gastronomie durch eine immer größer werdende Personalnotlage entgegenwirken zu müssen.

3. Als Arbeitgeber tragen wir auch Mitverantwortung für das Leben und das Umfeld unserer Teammitglieder. Das bedeutet auch, dass wir uns verpflichtet fühlen, unseren Teammitgliedern eine Umgebung zu schaffen und ihnen Bedingungen an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, sich bewusst um sich zu kümmern, sich zu erholen, sich weiterzubilden oder bilden zu lassen, Aufmerksamkeit und Kraft zu generieren und sich um ihre Ziele, Familien und Freundschaften zu kümmern.

4. Wir wünschten uns ein sehr gutes Teamklima und einen guten Zusammenhalt.

5. Wir hofften auf einen geringeren Krankenstand.

6. Wir hofften, dass unsere Teammitglieder durch mehr Freizeit auch mehr Zeit, Raum und Energie für soziales, politisches und gesellschaftliches Engagement haben, um dadurch einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.

7. Wir erwarteten, dass unsere Teammitglieder fokussierter, konzentrierter, motivierter und effektiver arbeiten würden.

Die positiven Effekte

Was die Suche nach neuen Teammitgliedern betrifft, hatten wir schnell und kontinuierlich Erfolg. Wir haben viele Menschen kennengelernt und neue Teammitglieder gefunden, die nicht primär wegen kürzerer Arbeitszeiten zu uns gestoßen sind, sondern weil die Kombination aus teamorientiertem Denken und kulinarischen Inhalten und Überzeugungen Menschen anspricht. Auch wenn zu Beginn möglicherweise die ein oder andere Person dabei war, die vielleicht doch nicht so gut ins Team passte, hatten wir nie ernsthafte Probleme, Stellen neu zu besetzen. Am Ende haben wir ein Team geformt, das vollständig, harmonisch und recht homogen zu sein scheint.

Die Stimmung im Team ist sehr gut. Die Bereitschaft, einander zu helfen und gegebenenfalls bei Krankheitsausfällen einzuspringen, war und ist hoch. Gleiches gilt für die Motivation, den Spaß und die Identifikation. Auch wenn wir uns noch besser kennenlernen müssen.

In diesem besonderen Jahr mit vielen Krankheitswellen und einem bisher kaum gekannten Krankenstand hatten wir nahezu nie Probleme, unsere Schichten zu besetzen. Alle waren füreinander da. Die Vier-Tage-Woche konnte in allen Bereichen fast ausnahmslos eingehalten werden. Dass der Krankenstand so hoch ist, führen wir eher auf die Corona-Pandemie und ihre Nachwirkungen zurück als auf Überlastung.

Alle Teammitglieder haben mehr Freizeit und nutzen diese für sich selbst, ihre Freunde und Familien. Der Tenor ist ganz klar: Man muss sich erst an diesen Zugewinn gewöhnen und kann ihn noch gar nicht richtig begreifen. Denn es ist nicht nur so, dass wir eine Vier-Tage-Woche haben. Wir bieten auch verschiedene Schichten an und haben durch eine sieben-Tage-Woche maximale Flexibilität, sodass es auch normal ist, regelmäßig an Wochenenden und Abenden frei zu haben. Und wer schon mal in der Gastronomie gearbeitet hat, weiß das zu schätzen.

Auch ist die Bereitschaft einiger Teammitglieder, sich weiterzubilden und neue Wege zu gehen, größer als in der Vergangenheit. Was Effektivität, Qualität und einen besseren Fokus angeht, ist es unserer Meinung nach ein weiterer Weg, den wir als Team gemeinsam gehen müssen. Zum einen ist es ein großer Wandel im Vergleich zur vorherigen Arbeitsrealität, aus der die meisten von uns kommen, und zum anderen gewöhnt sich der Mensch nur langsam daran. Aber besonders in diesem Bereich setzen wir große Hoffnungen.

Die negativen Effekte

Was die finanzielle Seite betrifft, sah es in den ersten Monaten sehr gut aus, aber in den letzten sieben Monaten stellte sich dies als große Herausforderung und Belastung heraus. Die deutlich gestiegenen Teamkosten durch höhere Gehälter und den höheren Personalbedarf bei geringerer Arbeitszeit der einzelnen Teammitglieder sind gemeinsam mit der Inflation und den gestiegenen Kosten im Energie- und Warenbereich eine große Herausforderung, die wir jedoch bewältigen können, wenn wir in den Bereichen Effizienz, Kenntnisse und Abläufe wie gewünscht verbessern und auch in der Preispolitik neue Wege gehen.

Die langsamen Fortschritte in Bezug auf neue Kenntnisse und Effizienz liegen auch daran, dass große Teile des Teams sich nur selten gemeinsam sehen. Aufgrund der verschiedenen Schichten, der Vier-Tage-Woche und des Krankenstands ist es eine große Herausforderung, allen Teammitgliedern den gleichen Wissensstand zu vermitteln. Die Kommunikation ist schwieriger geworden, wird sich jedoch einspielen. Dafür gibt es Möglichkeiten und Wege. Die ernsthafte Herausforderung in diesem Bereich und die fundamentale Bedeutung der Kommunikation für unseren gemeinsamen Erfolg sind jedoch noch nicht von allen richtig erfasst worden.

Für unser Empfinden stellen Arbeitsverhältnisse von arbeitenden Müttern oder Vätern eine besondere Schwierigkeit dar. Gerade für Frauen oder Männer mit Kindern, die eventuell alleinerziehend sind oder aber auf jeden Fall eine große, wenn auch schöne Mehrbelastung und Verantwortung haben, sehen wir die möglichen Vorteile einer Vier-Tage-Woche als immens förderlich an. Allerdings kann der Arbeitstag durch die Kinderbetreuung häufig erst um 9:00 Uhr beginnen und endet durch das Ende der Kinderbetreuung dann auch gegen 15:00 Uhr. Das bedeutet sechs Stunden Arbeit, abzüglich der Pause. Wenn jedoch Vollzeitarbeit gewünscht und benötigt wird, bedeutet dies im Moment für zwei unserer Teammitglieder auf eigenen Wunsch, eine fünf- bzw. sogar eine sechs-Tage-Woche zu absolvieren. Das entspricht nicht unseren Wünschen und Zielen für unsere Teammitglieder, und wir würden uns freuen, bessere Lösungen zu finden und in eine finanzielle Position zu kommen, in der wir uns diese dann auch leisten können.

Bisheriges Fazit


Die Erkenntnis, dass eine verbesserte finanzielle Situation nicht durch reine Zauberei und Wunschdenken erreicht werden kann, war natürlich von Anfang an klar. Jedoch hat die seit letztem August eingetretene Preisentwicklung zu zusätzlichem Handlungsdruck geführt, und tut es immer noch.

Man könnte sich als Arbeitgeber manchmal zurückwünschen in Zeiten, in denen Angestellte für 2000€ brutto 50 bis 60 Stunden die Woche gearbeitet haben. In Zeiten, in denen aus den unterbesetzten Schichten das letzte bisschen Arbeitskraft herausgequetscht wurde. All das geschah stets bei bestem Umgangston und wertschätzender Arbeitsatmosphäre. Man könnte sich in die guten alten Zeiten zurücksehnen. Aber die Wahrheit ist, dass diese Zeiten nicht besser waren! Wir sind mit unseren "Dienstleistern" in der Gastronomie und auch in anderen Branchen oft schlecht umgegangen. Das gilt auch für das Gesundheitswesen.

Wenn jemand in unserem Team arbeitet, sollte es möglich sein, das Leben sorglos finanzieren zu können. Gut zu wohnen, qualitativ hochwertige Lebensmittel zu kaufen und zu essen, eine Familie zu gründen, sofern er oder sie dies möchte, und diese zu unterstützen, zu entwickeln und zu bilden, Urlaube zu finanzieren und finanziell für die Zukunft vorzusorgen. Und all das, während man einen guten, gesunden und klaren Kopf behält. Mit einem solchen Kopf weiß man, dass man seinen Urlaub eher an der Ostsee als auf den Malediven verbringen wird.

Ein klarer Kopf ist in einem anspruchsvollen Job, den wir alle freiwillig gewählt haben und den wir hier im Team auch lieben, von großer Bedeutung. Und damit das so bleibt, empfinden wir die Vier-Tage-Woche als äußerst positiv. Genauso positiv wie ein Stück Kuchen für 7,50€.

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